Was schlecht gemachte Vergütungssysteme anrichten können
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Nicht Boni und schlecht aufgesetzte Leistungszulagen, sondern hohe Gehälter sorgen für Zukunftsfitness. Denn durch hohe Gehälter gewinnt man die besten Talente. Zudem haben, wenn einzelzielorientierte Bonussysteme entfallen, Lug und Trug im Unternehmen ein Ende.
Es könnte so einfach sein: Bei gemeinsamem Erfolg werden alle belohnt. Das spornt an, stärkt die Gemeinschaft und fördert den Zusammenhalt. Kameradschaft und eine innere Verbundenheit stellen sich ein. Für den Fall, dass ein Projekt floppt, war das gesamte Team nicht erfolgreich und hat seine Ziele verfehlt. So sind alle am Gelingen sehr interessiert, unterstützen sich gegenseitig und fordern eine angemessene Leistung ein.
Ganz anders in Unternehmen alter Schule. Ein paar wenige Auserwählte, vor allem die Führungskräfte und der Vertrieb, werden für Einzelleistungen bonifiziert. Doch das ist Unfug. Denn isolierte Erfolge gibt es schon lange nicht mehr. Alles hängt heute eng miteinander zusammen. Bonusmotivierte Einzelkämpfer auf der einen und ein demotivierter Rest auf der anderen Seite kann sich niemand noch länger leisten.
Empfindet die Belegschaft die Prämienvergabe als unfair, sinkt deren Leistungs- und Kooperationsbereitschaft unmittelbar. Wer also Gemeinschaftserfolge will, muss separierende Anreizsysteme entsorgen, weil sie die Zusammenarbeit konterkarieren. Und wem es um Zukunftssicherung geht, muss die Vergütung der Manager:innen an Innovationsleistungen koppeln, die sie gemeinsam realisieren.
Einzelzielbonussysteme setzen die Zukunft des Unternehmens aufs Spiel
Kaum ein Führungsinstrument richtet so viel Schaden an wie der Einzelzielbonus. Er zementiert Silodenken und -handeln, begünstigt eigennützige Motivationen, nährt Misstrauen und egoistische Gier. Denn niemand hat nur die Unternehmensinteressen im Kopf. Jeder verfolgt zugleich eigene Ziele. Dabei geht es um Macht, Ruhm, Status und Karriereoptionen — und um das eigene Portemonnaie. Anreize steuern Verhalten. Wer für Kurzfrist-Erfolge bezahlt, bedient eine Nach-mir-die-Sintflut-Mentalität.
Schlimmer noch: Wenn Monetäres in den Vordergrund rückt, tritt die Moral den Rückzug an. Denn Angst um Boni macht erfinderisch. Das Jahresergebnis wird zurechtgebogen, um die Anleger bei Laune zu halten. Zukunftsprojekte werden allein deshalb gestrichen, weil sie die Quartalszahlen trüben. Auftrags- und Projektübersichten werden manipuliert, so dass die mit ihnen verbundenen Statusampeln auf grün springen können. Denn bei Grün gibt’s Goodies, bei Rot hingegen gibt’s Ärger.
Oder man wartet mit Blick auf die eigene variable Vergütung lieber bis zum nächsten Incentiveprogramm, um nicht vorzeitig Kraft zu vergeuden. Selbst das Überschreiten moralischer Grenzen wird toleriert, „damit die Zahlen stimmen“. Schließlich macht sich in den Köpfen der Belegschaft das „Cheater‘s High“ breit. Es ist das schäbige Hochgefühl, „beschissen“ zu haben und damit durchgekommen zu sein. Alle im Unternehmen schauen „denen da oben“ bei solchem Tun zu und mauscheln dann auch.
Es wird zu viel oder das Falsche verkauft, Erfolge werden gebunkert. Kunden werden über den Tisch gezogen oder man paktiert heimlich mit ihnen, um Anreizziele zu knacken. Zudem favorisiert man Bewährtes, um seine Quoten erfüllen zu können. Neuheiten, für die erst noch eine mühsam zu erobernde Klientel gesucht werden muss, sind uninteressant. Und das wiederum setzt die Zukunft des Unternehmens aufs Spiel.
Zwischen algorithmischen und heuristischen Aufgaben unterscheiden
In verschiedenen Studien hat sich gezeigt: Bei kognitiven Arbeiten sinkt die Performance, sobald es um das Erreichen von Boni geht. Statt auf die Suche nach außergewöhnlichen Ideen zu gehen, verschiebt sich der Fokus hin zum Erreichen des Bonus. Planabweichungen und mögliche Risiken werden gemieden. Man geht auf Nummer sicher und favorisiert Berechenbarkeit. Man opfert langfristige Wertschöpfung für die sofortigen Goodies.
So zeigt der Bestsellerautor Daniel Pink in seinem Buch Drive den Unterschied zwischen algorithmischen und heuristischen Aufgaben auf. Bei Ersteren handelt es sich um einfache Routinearbeiten mit vorgezeichnetem Lösungsweg. Hier können vorauseilende „Wenn-dann“-Belohnungen („Wenn Sie bis morgen …, dann …“) sinnvoll sein, da sie die Aufmerksamkeit auf die Zielverfolgung lenken. Sie erzeugen allerdings Abhängigkeit und müssen deshalb immer wieder dargeboten werden.
Heuristische Aufgaben sind komplexer. Eine passende Lösung muss erst noch gefunden werden. Hier sind vorab in Aussicht gestellte Belohnungen kontraproduktiv, da sie den Fokus verengen und das kreative Denken blockieren. Ferner können sie die intrinsische Motivation auslöschen oder zu unkorrektem Verhalten verleiten, da nun der Bonus zum eigentlichen Ziel wird. Deshalb sind in diesem Fall „Nun-da“-Belohnungen („Nun, da das Projekt so erfolgreich umgesetzt wurde, …“) sinnvoller, solche also, die unerwartet kommen und erst angeboten werden, nachdem eine Aufgabe erfüllt ist.
Nicht Boni, sondern hohe Gehälter bringen marktrelevante Innovationen
Nicht durch Boni und Leistungszulagen, sondern durch hohe Gehälter werden außergewöhnliche Innovationen hervorgebracht. Denn durch hohe Gehälter gewinnt man die besten Talente. Der Wegfall von Einzelzielboni macht Lug und Trug im Unternehmen endlich ein Ende. Zudem spart man sich eine Menge Verwaltungskosten, die durch die Implementierung aufwendiger Bonussysteme entstehen.
Wer die falschen Ziele mit Boni belohnt, züchtet Besitzstandsbewahrer, die den notwendigen Wandel oft aus purem Selbstschutz boykottieren. Muster brechen? Neuland begehen? „Kann ich mir nicht erlauben, habe zwei Kinder, die bald auf die Uni kommen, und gerade ein Häuschen gebaut. Schön dumm wäre ich, mich groß aus dem Fenster zu lehnen“, raunt mir ein Manager zu.
Wer sein ganzes Leben um seine Karriere herumgebaut hat, hat keinen Bock auf Experimente. Sie bergen das Wagnis des Scheiterns. Eine größere Fehlentscheidung, Budget in den Sand gesetzt, Zielzahlen nicht geschafft, und man ist Geschichte. Folgt man hingegen den Regeln und einem vorgegebenen Plan, hat man nichts zu befürchten.
Was Boni bringt, wird gemacht. Wünschenswerteres hingegen nicht
Wer incentivierte Anerkennung dafür erhält, dass er vorgezeichneten Verfahrensweisen akribisch folgt, tut eben nur noch das. Individual- und Abteilungsziele und damit verbundene Boni sind Vereinzelungsmaßnahmen, das Gemeinsame stirbt. „Wenn ich mit anderen Abteilungen zusammenarbeite, schade ich mir nur selbst. Mein Bonus bemisst sich schließlich nach dem, was ich in meinem Bereich leiste“, konstatiert der Abteilungsleiter eines Maschinen- und Anlagenbauers.
Natürlich ist Messbarkeit wichtig. Ob man KPIs (Key-Performance-Indikatoren) aber bonifiziert, will gut überlegt sein. Viele folgen solchen Vorgaben nämlich wie blind, um das eigene Gehalt nicht zu schmälern. Das passiert sogar dort, wo es niemals passieren dürfte. So wurde in einer Krankenhauskette die Schmerzfreiheit der Patienten zum obersten Ziel erklärt, per NPS-Kennzahl abgefragt und honoriert. Man kann sich denken, was dann geschah. Am Ende hat sogar die Gesundheitsbehörde ermittelt.
Oder nehmen wir die Befragung nach einem Autokauf. Auch dort gibt es Geld für gute Noten. Zu was das führt? Die Mitarbeitenden konzentrieren sich nur noch auf das, was ihnen Prämien und erste Plätze im Ranking erbringt. Flehentlich werden die Kunden gebeten, nur ja gute Werte zu geben. Oft bekommt man dafür im Vorfeld sogar was geschenkt. Und alle lernen: Wer trickst, täuscht und tarnt, steht auf Rennlisten an vorderster Stelle, wird gewürdigt, vor aller Augen geehrt und geldwert belohnt.
Wie man solche und viele weitere unternehmensinterne Absurditäten wegbekommt? Machen Sie einen Workshop mit dem Titel „Elephant in the Room“. Warum Elefant? Weil es um etwas wirklich Großes geht: ein offensichtliches Problem, das dick und breit im Raum steht und den Zugang zu einer besseren Zukunft versperrt. Es ist unübersehbar, doch alle tun so, als wäre es gar nicht da. In meinem neuen Buch „Bahn frei für Übermorgengestalter“ steht ganz genau, wie das funktioniert.